Mittwoch, 28. Januar 2009

Blumenblatter




Blumenblatter

Ich habe einen schönen Beruf.
Ich weiß das, weil ich die Möglichkeit habe, mich des Öfteren in meine Jugend zurückkatapultieren zu lassen, unverhofft, schnell, ohne Vorwarnung, manchmal umwerfend.
Meine Schüler schreiben. Sie sind losmarschiert, haben Ihre Sinne geschärft und sollen jetzt aufschreiben, was sie wahrgenommen haben.
Die Sinnlichkeit soll Text werden.
Ich habe mir vorgenommen, meine Schüler zu bobachten und zu schreiben.
Schreiben, aufschreiben, auf. Auf, auf!
Blumenblatter.
Das ist meine Erinnerung an meinen ersten Text, ein Diktat. Ich war empört, konnte es nicht begreifen. Die Lehrerin, Fräulein Elvert, hatte gnadenlos konstatiert: 1 Fehler!
In meinem Text war ein Fehler: ä war richtig, a war ganz falsch. 1 Fehler!
Mich hat damals das pingelige Insistieren auf den zwei Strichelchen getroffen. Es war doch klar, was ich meinte, warum hatte sie die blöden Striche nicht in einer Hundertstel Sekunde selbst hingehuscht?
Ich bin Deutschlehrer, heute.
Ich kann mich nur an wenige Diktate oder Aufsätze erinnern, in denen ich fehlende Strichelchen über a, o oder u als Fehler angestrichen hätte. Es muss da manchmal Hundertstel Sekunden geben, in denen ich etwas Unbewusstes tue.
Nach den Blumenblattern hatte ich lange keine Lust mehr zu schreiben. Immer war da die Angst, irgendwelchen kleinlichen, später spießigen, bildungsbürgerlichen Normen nicht gerecht werden zu können, mir anhören zu müssen, dass ich etwas falsch oder nicht gut genug gemacht hätte.
Dass ich heute gerne schreibe, hat leider nichts mit dem Ende von Pingeligkeit und Spießigkeit zu tun, aber das ist ein anderes Thema.
Meine Schüler sollen also ihre Wahrnehmung aufschreiben.
Ich habe sie gewarnt. Habe von Anstrengung, Frustration und Schreibblockade gesprochen.
Die große Mehrzahl will es versuchen, immerhin locken zu Beginn zwei Doppelstunden außerhalb der Schule an einem Platz nach eigener Wahl.
Jetzt sitzen sie da, angestrengt, frustriert, blockiert. Aber: Nach dem ersten kleinen Schock, den das gänzlich weiße Papier hinterlassen hat, bewegen sich die ersten Füller, Kugelschreiber oder Bleistifte, erst noch zögerlich, dann immer schneller über die Tische.
Die Schüler hier strengen sich an, manche müssen sich quälen. Ich schätze sie u.a. auch wegen dieser Einstellung.
Ich kenne zu viele Blumenblatter-Kinder. Kinder oder Jugendliche, die bei dem Wort schreiben erstarren, die bisher eigentlich nur abgeschrieben haben, abschreiben mussten.
Schreiben nach Normen, in Normen, Schönschreiben, Rechtschreiben, Eintragen, Nachtragen, Verbesserung, Berichtigung.
„Wie viel muss ich schreiben, in welches Heft, muss ich eine neue Seite anfangen, mit welchem Stift, soll ich das unterstreichen?“
Und jetzt das: Schreibt über eure Wahrnehmung.
Sie kämpfen, nehmen sich Auszeiten, schwätzen, beschweren sich.
Die meisten kommen aber immer wieder zu ihrem Text zurück. Ich wüsste dann sehr gerne, welcher Gedanke sie wieder dorthin gebracht hat. Wenn ich frage, dann störe ich.
Sie schreiben hoffentlich nicht wegen mir, wegen der Schule, der Noten.
Ich würde das wirklich gerne wissen. Hier spielt sich für mich als Lehrer etwas ab, was spannend für mich ist.
Wenn ich noch oft die Hoffnung haben kann, dass Jugendliche etwas mit mir für sich tun, dann wird mich der Beruf weiter faszinieren.
Und wenn nicht...?
Wer möchte, liest seinen Text vor. Ein Fest für mich. Ich höre einfach zu, folge den Gedanken, manchmal bleibe ich bei einem Wort hängen, verpasse ein wenig. Egal, erst mal nur hinhören, die Deutschlehrerschere im Kopf geht hier wirklich einmal abzuschalten.
Die Schüler haben mir dabei geholfen. Sie haben sich von Zwängen befreit, lesen vor.
Wenn irgendwo einer Blumenblatter geschrieben hat, hat er’s vielleicht auch so gemeint.
Ich werde den Schülern vorschlagen, dass wir unsere Texte in der Schülerzeitung veröffentlichen, zum Freuen und zum Mutmachen.

Sonntag, 25. Januar 2009

Zeugnisse


Heute, beim Schreiben der Zeugnisse für das Schulhalbjahr, wird mal wieder sehr deutlich, wie ungerecht, wie abhängig die Noten von den Lehrern sind.
Bei Leherinnen, die wenig durchsetzungsfähig sind, bekommen selbstbewusste, raumgreifende Jungen fast immer die schlechteren Noten.

Bei verpeilten Kollegen, die auch ein und dieselben Hausaufgaben mehrmals aufgeben, bekommt diejenige Schülerin, die sich traut, darauf hinzuweisen, eine Fünf, als Einzigste.

Freitag, 23. Januar 2009

Lehrer sein


Ich habe einen schönen Beruf.
Ich weiß das aus mindestens zwei Gründen. Erstens habe ich schon einen anderen Beruf erlernt und intensiv ausgeübt und zweitens fahre ich an den meisten Tagen morgens ganz gut gelaunt zur Arbeit.
Manchmal haut mich mein Beruf um:
Heute ist Schwimmunterricht mit Busfahrt dran.
Vom Lehrerzimmer aus geht es im Laufschritt raus aufs Schulgelände. In der linken Hand die kiloschwere Sporttasche in der rechten mal wieder nur ein Schokoriegel, weil es zu was „Anständigem“ zeitlich einfach nicht mehr gereicht hat. Den normalen Autoverkehr um unsere Schule herum hat gerade eine Baustelle lahmgelegt, sodass es drei mögliche Plätze gibt, an denen der Bus zum Schwimmbad halten könnte.
Ich versage beim Buslotto, steige völlig geschwitzt und außer Atem nach einem veritablen 1000-Meter-Lauf ein, wobei mir der Busfahrer schon von weitem zugerufen hat, ich möge mich mal um die Krawallos auf der letzten Bank kümmern, was ihn natürlich nicht daran hindert, mit einem Kavallierstart loszurasen (mit dem Bus, das geht!), während ich noch verzweifelt nach Halt suche. Ich klatsche gegen einen Pfosten mit Türöffnersignal, der Schokoriegel hat meine Hose versaut und der Inhalt meiner Sporttasche ergießt sich in den Gang.
Bis ich alles eigesammelt habe, sind wir fast schon am Schwimmbad angekommen. Außer meinen Sachen haben mir einige Schüler auch ihre Entschuldigungen zugesteckt, es ist gerade Schnupfen- und Hustenzeit.
Wir müssen vor der Schwimmbadtür warten. Die ca 60 Schüler der Gruppe vor uns haben sich etwas verspätet. Würden unsere ca 60 Schüler jetzt auch noch in die drei kleinen Umkleidekabinen dängen, gäb’s Mord und Totschlag.
Wir dürfen rein.
Geruchsstatus 1:
Eine Mischung aus mindestens 30 verschiedenen, heftig angewendeten Deos, Sprays und Hairstylern. Dazwischen der Duft von einigen hartnäckigen Nichtwaschern und heißgelaufenen Föns.
Ich bin zum zweitenmal schweißgebadet, mein Magen (fast leer, Rudimente von Schokoriegel) rebelliert zaghaft.
Jetzt muss es schnell gehen. Ich muss der erste im Bad sein, der Aufsicht wegen und weil viele einfach gerne ins Wasser möchten. Also rein in meine „Lehrerumkleidekabine“ und rein in die Badehose. Raus aus der Kabine und durch 30 sich um- und ausziehende Jungs aus der 6.Klasse.
Geruchsstatus 2:
Reste der oben beschriebenen Deomischung verbinden sich mit Körperschweiß, vor allem den von pubertierenden Jungenfüßen, deren Socken und Schuhen. Einige Jungs essen noch schnell ihre Käse- und Leberwurstbrote, Schwimmen macht bekanntlich hungrig, dem gilt es unter allen Umständen vorzubeugen.
Der Sportlehrer, also ich, müsste hier eigentlich einige Worte zum Thema „Sport und Ernährung“ fallen lassen, ich habe aber gerade meinen dritten Schweißausbruch und mein Magen will diesen olfaktorischen Sturmangriff nicht länger tolerieren.
Ich flüchte durch die Duschen, reiße die Tür zum Hallenbad auf, stürze ins Freie, will atmen, mich befreien. Es umfängt mich die 40 Grad heiße Schwimmbadluft mit 99% Luftfeuchtigkeit. Ich höre auf, von meiner Transpiration zu erzählen.
Unser Thema heute: Welche Bewegungen und Körperhaltungen lassen uns im Wasser schnell vorankommen, welche hemmen uns eher? Der pädagogische Profi entdeckt natürlich sofort den problemorientierten Ansatz dieser Aufgabenstellung und ahnt, dass es hier viel zu entdecken und zu besprechen gibt. Dazu bedarf es aber wiederum wenigstens ab und zu einer ruhigen, spritzfreien Ecke. Unter Aufbietung aller meiner organisatorischen Kniffe und der Einsicht, dass ich nur eine Chance auf Gehörtwerden habe, wenn ich den restlichen 40 spritzenden, jauchzenden und platschenden Kindern und dem startschießenden Kollegen in Punkto Lautstärke wenigstens ebenbürtig bin, brüllen meine Schüler und ich uns an.
Meine Schüler können dann wieder ins kühle Nass springen, ich bleibe am Rand, unterdrücke den Reflex, meinen fiebernden Körper ebenfalls durch einen Befreiungssprung abzukühlen, tauche verschämt meinen linken Fuß ins Wasser, als Marco aufgeregt angerannt kommt und sich beklagt, er habe gerade seinen Zehennagel verloren, ich möge doch mal bitte genau hinsehen, was er denn nun machen solle.
Jetzt ist magenmäßig keine Steigerung mehr drinn und ich bin froh, dass die Stunde ohne weitere Katastrophen zu Ende geht, nachdem ich Marcos Zehe wenigstens per Flaster optisch entschärft habe.
Nun kommt das Finish, ich gebe noch einmal alles. Ich muss als letzter das Bad verlassen und als erster vor der Tür stehen. Das heißt, ich stürze mich wie nach einem Saunagang, bei dem man das Abkühlen und das Abtrocknen vergessen hat, in meine Klamotten, haste aus meiner Kabine dem Ausgang zu.
Geruchsstatus 3:
Geruchsstatus 1 + Geruchsstatus 2 +ich. Gleich haut’s mich um!
Alle rein in den Bus. Ich bin der Letzte, ich muss stehen, Kavalierstart usw.
Neben mir sitzt Hendrik .Er tippt mir ans Bein und sagt: „Heute hats mir super Spaß gemacht, ich hatte immer Angst, dass ich untergehe im Wasser, weil ich nicht schnell genug vorwärts komme. Heute hab ich kapiert, was ich besser machen kann. Ich frage meinen Papa, ob er am Wochenende mit mir Schwimmen geht. Sie werden sehen, nächste Woche kann ich’s schon besser.“
Ich habe einen schönen Beruf.

Unterrichtsbeginn

Entspanntes Lehrerdasein hat manchmal damit etwas zu tun, dass man nicht in aller Herrgottsfrühe anfangen muss zu unterrichten.
Vielleicht sollte man doch mal intensiver darüber nachdenken, den Unterricht später beginnen zu lassen, zumindest im Winter.

Donnerstag, 22. Januar 2009

Impressum

Im Untergrund wühlt:
Rainer Bruckhuisen
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Gute Noten, verständlich!

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