Freitag, 23. Januar 2009

Lehrer sein


Ich habe einen schönen Beruf.
Ich weiß das aus mindestens zwei Gründen. Erstens habe ich schon einen anderen Beruf erlernt und intensiv ausgeübt und zweitens fahre ich an den meisten Tagen morgens ganz gut gelaunt zur Arbeit.
Manchmal haut mich mein Beruf um:
Heute ist Schwimmunterricht mit Busfahrt dran.
Vom Lehrerzimmer aus geht es im Laufschritt raus aufs Schulgelände. In der linken Hand die kiloschwere Sporttasche in der rechten mal wieder nur ein Schokoriegel, weil es zu was „Anständigem“ zeitlich einfach nicht mehr gereicht hat. Den normalen Autoverkehr um unsere Schule herum hat gerade eine Baustelle lahmgelegt, sodass es drei mögliche Plätze gibt, an denen der Bus zum Schwimmbad halten könnte.
Ich versage beim Buslotto, steige völlig geschwitzt und außer Atem nach einem veritablen 1000-Meter-Lauf ein, wobei mir der Busfahrer schon von weitem zugerufen hat, ich möge mich mal um die Krawallos auf der letzten Bank kümmern, was ihn natürlich nicht daran hindert, mit einem Kavallierstart loszurasen (mit dem Bus, das geht!), während ich noch verzweifelt nach Halt suche. Ich klatsche gegen einen Pfosten mit Türöffnersignal, der Schokoriegel hat meine Hose versaut und der Inhalt meiner Sporttasche ergießt sich in den Gang.
Bis ich alles eigesammelt habe, sind wir fast schon am Schwimmbad angekommen. Außer meinen Sachen haben mir einige Schüler auch ihre Entschuldigungen zugesteckt, es ist gerade Schnupfen- und Hustenzeit.
Wir müssen vor der Schwimmbadtür warten. Die ca 60 Schüler der Gruppe vor uns haben sich etwas verspätet. Würden unsere ca 60 Schüler jetzt auch noch in die drei kleinen Umkleidekabinen dängen, gäb’s Mord und Totschlag.
Wir dürfen rein.
Geruchsstatus 1:
Eine Mischung aus mindestens 30 verschiedenen, heftig angewendeten Deos, Sprays und Hairstylern. Dazwischen der Duft von einigen hartnäckigen Nichtwaschern und heißgelaufenen Föns.
Ich bin zum zweitenmal schweißgebadet, mein Magen (fast leer, Rudimente von Schokoriegel) rebelliert zaghaft.
Jetzt muss es schnell gehen. Ich muss der erste im Bad sein, der Aufsicht wegen und weil viele einfach gerne ins Wasser möchten. Also rein in meine „Lehrerumkleidekabine“ und rein in die Badehose. Raus aus der Kabine und durch 30 sich um- und ausziehende Jungs aus der 6.Klasse.
Geruchsstatus 2:
Reste der oben beschriebenen Deomischung verbinden sich mit Körperschweiß, vor allem den von pubertierenden Jungenfüßen, deren Socken und Schuhen. Einige Jungs essen noch schnell ihre Käse- und Leberwurstbrote, Schwimmen macht bekanntlich hungrig, dem gilt es unter allen Umständen vorzubeugen.
Der Sportlehrer, also ich, müsste hier eigentlich einige Worte zum Thema „Sport und Ernährung“ fallen lassen, ich habe aber gerade meinen dritten Schweißausbruch und mein Magen will diesen olfaktorischen Sturmangriff nicht länger tolerieren.
Ich flüchte durch die Duschen, reiße die Tür zum Hallenbad auf, stürze ins Freie, will atmen, mich befreien. Es umfängt mich die 40 Grad heiße Schwimmbadluft mit 99% Luftfeuchtigkeit. Ich höre auf, von meiner Transpiration zu erzählen.
Unser Thema heute: Welche Bewegungen und Körperhaltungen lassen uns im Wasser schnell vorankommen, welche hemmen uns eher? Der pädagogische Profi entdeckt natürlich sofort den problemorientierten Ansatz dieser Aufgabenstellung und ahnt, dass es hier viel zu entdecken und zu besprechen gibt. Dazu bedarf es aber wiederum wenigstens ab und zu einer ruhigen, spritzfreien Ecke. Unter Aufbietung aller meiner organisatorischen Kniffe und der Einsicht, dass ich nur eine Chance auf Gehörtwerden habe, wenn ich den restlichen 40 spritzenden, jauchzenden und platschenden Kindern und dem startschießenden Kollegen in Punkto Lautstärke wenigstens ebenbürtig bin, brüllen meine Schüler und ich uns an.
Meine Schüler können dann wieder ins kühle Nass springen, ich bleibe am Rand, unterdrücke den Reflex, meinen fiebernden Körper ebenfalls durch einen Befreiungssprung abzukühlen, tauche verschämt meinen linken Fuß ins Wasser, als Marco aufgeregt angerannt kommt und sich beklagt, er habe gerade seinen Zehennagel verloren, ich möge doch mal bitte genau hinsehen, was er denn nun machen solle.
Jetzt ist magenmäßig keine Steigerung mehr drinn und ich bin froh, dass die Stunde ohne weitere Katastrophen zu Ende geht, nachdem ich Marcos Zehe wenigstens per Flaster optisch entschärft habe.
Nun kommt das Finish, ich gebe noch einmal alles. Ich muss als letzter das Bad verlassen und als erster vor der Tür stehen. Das heißt, ich stürze mich wie nach einem Saunagang, bei dem man das Abkühlen und das Abtrocknen vergessen hat, in meine Klamotten, haste aus meiner Kabine dem Ausgang zu.
Geruchsstatus 3:
Geruchsstatus 1 + Geruchsstatus 2 +ich. Gleich haut’s mich um!
Alle rein in den Bus. Ich bin der Letzte, ich muss stehen, Kavalierstart usw.
Neben mir sitzt Hendrik .Er tippt mir ans Bein und sagt: „Heute hats mir super Spaß gemacht, ich hatte immer Angst, dass ich untergehe im Wasser, weil ich nicht schnell genug vorwärts komme. Heute hab ich kapiert, was ich besser machen kann. Ich frage meinen Papa, ob er am Wochenende mit mir Schwimmen geht. Sie werden sehen, nächste Woche kann ich’s schon besser.“
Ich habe einen schönen Beruf.

4 Kommentare:

  1. Schöne Geschichte. Gibt's noch mehr davon?

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  2. Tolle Geschichte.Gelungener Schreibstiel.

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  3. Was heißt hier Geschichte???
    Das ist der Alltag und das ist kein Scherz! Leider! Ich erkenne mich in dieser Geschichte wieder ;-)

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  4. Schön, dass du dich wiedererkennst, oder vielleicht auch nicht????
    Wir sollten jedenfalls öfter Geschichten über unseren Alltag erzählen, schreiben etc., vielleicht macht uns das locker....

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