Heutzutage reden alle von Quereinsteigern, die uns in der Schule aus verschiedensten Jammertälern herausführen sollen.Gemeint sind wahrscheinlich pädagogische Wunderwaffen, die so mir nichts dir nichts mal eben die "Praxis" im Unterricht aufblühen lassen, sodass unsere abgestumpfte Schülerschaft nach jeder Begegnung mit einer solchen Erscheinung sogleich hochmotiviert nichts anderes mehr will, als ebenso ein Fabelwesen aus der "Praxis" zu werden.
Vor einigen Jahren bin auch ich quer eingestiegen, wobei ich mich jetzt frage, was das "quer" eigentlich bedeutet.
Jedenfalls brachte auch ich damals die "Praxis" mit in die pädagogische Anstalt. Ich war einige Jahre als selbständiger Gastronom tätig gewesen, hatte also nach meiner Einschätzung schon einen anständigen Beruf erlernt, bevor ich Lehrer wurde.
Hier folgt nun die Sicht eines Quereinsteigers auf unser merkwürdiges Biotop, das wir Schule nennen.
Geschrieben vor vielen Jahren,
ein angehender Pädagoge auf der Suche nach Orientierung:
ein angehender Pädagoge auf der Suche nach Orientierung:
Kneipe und Schule
Das Auftreten eines solchen Wortpaares, verbunden mit der Konjunktion "und", signalisiert in den meisten Fällen entweder etwas Gemeinsames oder es weist auf ein Gegensatzpaar hin.
Ich bin mir nicht sicher.
Jedenfalls geht mir die Geschichte nicht aus dem Kopf.
Das fing gleich am ersten Tag an, als ich nach beinahe 15jähriger Abstinenz zum ersten Mal wieder eine Schule betrat.
Mein erster Schultag, Lehrerzimmer:
Genau wie in der Kneipe oder im Restaurant:
Man kommt herein und das Murmeln, Rufen und Schreien einer Menschenmenge umfängt den Neuling. Getrunken wird auch, sogar gegessen, allerdings nie von Tellern.
Man geht hinein in den Raum und sucht sich einen Platz. Am besten dort, wo man attraktive Menschen gesichtet hat, deren Äußeres schon sympathisch wirkt.
Und dann kommt er, der erste Knick in der falschen Vorstellung:
Äußeres Erscheinungsbild eines bundesdeutschen Lehrerzimmers:
Viele ältere Herrschaften, schlecht und einfallslos gekleidet, Frisuren überwiegend von Irene, die schon 68 in der WG allen die Haare geschnitten hat. Kein Zwinkern, kein Blinzeln, kein lockeres Zurückstreichen der Haare, das symbolisiert, ich mach mich schön für dich.
Die erotische Ausstrahlung des Ensembles, inclusive Mobiliar und unvermeidlicher, mit putzigen Motiven geschmückter Humpentassen, ist mit meinen, in der Gastronomie erprobten Messmethoden nicht zu fassen.
Ich setze mich also erstmal irgendwohin.
Aber geredet wird doch. Die Leute sprechen miteinander. Rein kommunikativ betrachtet, spielt sich doch eine Menge ab, denke ich.
Mit wem spricht eigentlich die Kollegin (so heißen jetzt meine Mitarbeiterinnen) neben mir? Da niemand sonst in der Nähe ist, kann sie nur mich meinen. Ich richte mich in meinem Stuhl auf, wende mich ihr mit meinem Gesicht zu und sage höflich: "Entschuldigen sie bitte, aber ich habe ihnen, glaube ich, nicht ganz aufmerksam zugehört." Sie scheint davon auszugehen, dass ich in der Lage bin, mir den Anfang ihrer Ansprache schon zusammenzureimen und fährt in ihrem Gespräch einfach fort.
Ich konzentriere mich also und lausche.
Die redet gar nicht mit mir. Die redet mit niemandem, führt hier ein wie auch immer motiviertes Selbstgespräch. Noch während ich das erschreckt feststelle, beruhige ich mich auch schon wieder bei dem Gedanken an so manchen Gast, der mir an der Theke gegenüber gesessen hat und wegen zu hohen Alkoholspiegels oder anderer, mehr im Psychosozialen verhafteter Gründe, erst die Hucke vollgelabert hat, dann aber, nachdem der Empfänger im Kommunikationsmodell, also ich, einfach abgeschaltet hatte, in heftigste Selbstgespräche verfallen ist.
Die Kollegin ist also besoffen oder sie hat sonst einen psychischen Schaden. Mit so was kann jeder gute Wirt souverän umgehen.
Ich lehne mich in meinen Stuhl zurück und schaue mich noch ein wenig um. Die Kollegin redet derweil mit ihrer Tasche.
Die Kommunikationsstrukturen in der Gastronomie sind äußerst vielschichtig. Beinahe alles ist möglich. Die Verständigungsprozesse sind von hoher Dynamik.
Dynamisch geht es auch im Lehrerzimmer zu. Das ist ein Rufen, Schreien, Winken und Gestikulieren. Überall stehen oder sitzen kleine Gruppen und reden angeregt, das sieht nicht anders aus als ein Tisch voller Gäste, die über die zu bestellenden Speisen und Getränke diskutieren.
Ich nähere mich also einmal einer solchen Gruppe, ganz so, als wolle ich eine Bestellung aufnehmen.
Du lieber Himmel! Alle reden, aber niemand spricht miteinander. Jeder fällt dem anderen so gut es geht ins Wort, wobei die Personal- bzw. Possesivpronomen "ich" und "mein" inflationär oft auftauchen.
Ich weiß auf der Stelle, dass diese Angelegenheit für mich ein Problem werden wird, denn hier existiert in meinem Kopf ein durch gastronomische Negativerlebnisse verfestigtes Charaktermuster, gegen das ich schwer ankommen werde: Gäste dieses Schlages bedeuten kurz gesagt Folgendes: Wenig Umsatz, viel Ärger, kein Trinkgeld.
Die Suche des Anfängers nach Haltepunkten in seiner neuen Umgebung geht noch weiter.
Sie wird demnächst hier fortgesetzt.
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