Samstag, 25. April 2009

Fortbildung



Heute war Fortbildung, heute war es schlimm.
Schon seit Tagen gibt es da in meinem Inneren einen Kampf. Soll ich das wirklich machen, muss das sein, alles läuft prima auch ohne das, oder?
Gut, jetzt bin ich hier.
Nach einem relativ entspannten Schultag betrete ich mit total verspannter Nackenmuskulatur und schon ersten gefühlten Koordinationsproblemen den Fortbildungsort: unsere Sporthalle.
Das Thema lautet: Tanzen im Sportunterricht:
Ich verspüre einen ersten Fluchtreflex.
Musikalisch und, wenn man das überhaupt so nennen kann, tänzerisch bin ich ein „Kind der 80er Jahre“. New Wave, Punk, Hardrock. Jede Art standardisierter Tanzbewegung zu dieser Musik war verpönt, spießig, ja sogar politisch unkorrekt.
Vor einigen Jahren habe ich versucht, dieser starren Tanzsozialisation entgegenzuwirken, indem ich in einer örtlichen Tanzschule einen Kurs für Anfänger im Standardtanzen belegt habe. Das Ergebnis war niederschmetternd. Die verkrampfte, in allen Situationen normierte Atmosphäre, gepaart mit einer Musik, die ich wirklich nicht tolerieren mochte und einem „Tanzlehrer“, dessen Affektiertheit mir Bauchschmerzen verursachte, bewirkte bei mir soetwas wie eine Schüttellähmung, von Tanzen konnte jedenfalls keine Rede sein.
Ich bin nicht oft dort gewesen.
Ein letzter Versuch, mir die Frage zu stellen, warum ich trotzdem heute hier bin, mit der Hoffnung auf eine Antwort, die mich guten Gewissens den Raum verlassen lässt, scheitert, als die Fortbildungsleiterin Nina zum Kreis bittet.
Sie ist der Grund meiner Pein, nur sie allein.
Sie hat so aufmunternd und mit diesem keinen Widerspruch duldenden Augenaufschlag gefragt: „Du machst doch sicher auch mit, gerade für Männer mache ich die Fortbildung, damit sich Männer auch mal an dieses Thema heranwagen.“
Also, zum letzten Mal: Ich mache jetzt mit.
Ich bewege mich im Raum. Dabei zähle ich immer bis vier, versuche rhythmisch zu gehen. Klappt prima, das kann ich. Auch die folgenden Übungen sind kein Problem: Immer, wenn ich bis vier gezählt habe, suche ich einen anderen Teilnehmer, der auch gerade bei Vier angelangt ist und mache mit ihm oder ihr ein paar lustige Bewegungen im Takt unseres
Zählrhythmus‘.
Wenn es so weitergeht, geht alles gut, denke ich. Aber wir sollen ja nicht gehen sondern tanzen und deshalb geht’s jetzt nicht mehr gut.
„Bildet eine Gruppe, denkt euch eine Sportart aus und überlegt, wie man diese rhythmisch und synchron darstellen kann.“
Mein Fluchtreflex wird stärker.
Gruppenarbeit.
Mit wem soll ich das machen? Wie finde ich jetzt jemanden? Findet mich jemand? Und wenn ich den nicht leiden kann?
Nina hat das geahnt, wir ziehen putzige Kärtchen und ich bin Mitglied einer Arbeitsgruppe. So richtig wohl ist mir aber trotzdem nicht.
Jedenfalls denken wir, machen wir, springen, zählen, klatschen in die Hände und machen merkwürdige Bewegungen. Da wir das immer alle gemeinsam versuchen, kommt es zu ersten Rempeleien oder sonstigem Körperkontakt.
Ich denke gerade darüber nach, was mein Sohn wohl sagen würde, wenn er seinen Vater so sehen würde, als Nina mit leicht drohender Stimme verkündet, dass jede Gruppe „ihre Choreografie“ jetzt gleich mal vor allen vorführen soll und sie habe auch noch eine Videokamera dabei…
Jetzt ist der Reflex, hier zu verschwinden, so stark, dass ich in der Tat einmal kurz vor die Tür treten muss.
Ich leiste in diesem Moment Abbitte vor Heerscharen von Schülern, die ich bisher bedenkenlos dazu veranlasst habe, „kreativ zu sein“, „sich in der Gruppe etwas auszudenken“, „neue, ungewöhnliche Bewegungsformen zu finden“ und das Ganze „mal eben nur für uns vorzuführen“.
Es liegt an meinen Gruppenmitgliedern, dass ich noch weitermache. Ihnen geht es vielleicht ähnlich, jedenfalls hört die Rempelei so langsam auf und man hört das erste befreite Lachen.
Bei „unserer Präsentation“ bin ich aufgeregt wie lange nicht mehr. Die Kamera läuft, sogar freundlicher Beifall und Nina hat es auch gefallen.
In den Moment, als ich gerade eine leichte Entspannung meiner gesamten Rumpfmuskulatur verspüre, platzt die Drohung, jetzt gehe es aber los, mit dem Tanzen.
Ich bin in einem Stadium der Willenlosigkeit. Keine auf Flucht ausgerichteten Reflexionen meines augenblicklichen Seins-Zustandes, keine körperlichen Reflexe, die mich der Veranstaltung entreißen könnten.
Es folgen die „Basics“.
Nina bringt es fertig, dass sich die ganze Gruppe gestandener Sportlehrer, und bis heute wahrscheinlich heimlicher Nichttänzer, nach einer kurzen Zeit relativ taktvoll und rhythmisch zur Musik den „Raum erobert“.
„Tanze ich jetzt etwa?“, frage ich mich einmal kurz, vergesse das aber wieder, weil ich mich tendenziell entspannt auf Körper, Bewegung und Musik konzentrieren kann.
Auch die anderen Kollegen haben so ein Grinsen im Gesicht, während sie leicht entrückt ihre Bahnen ziehen.
Wahrscheinlich sieht das von außen (Nina!) so aus, als würde eine Herde alter Büffel abrocken, das macht aber nichts, fast nichts.
Nächste Woche ist wieder Fortbildung, zweiter Teil. Ist nicht mehr so schlimm.
Ich habe einen schönen Beruf.

2 Kommentare:

  1. Du armer, falls es dich beruhigt, erzähle ich dir kurz, dass es noch schlimmeres gibt. ein freund von mir muss zwei jahre lang eine kreativ forbildung machen, um dann für sehr wenig geld an einer kreativschule zu unterrichten. dort musste er letzte woche einen nachmittag lang eine wasserrose sein, die sich verliebt im see hin und her öddelt. du bist also nicht allein.
    gruß
    fraufreitag

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  2. Ich möchte sofort wissen, wo es eine solche "Kreativschule" gibt und stelle hiermit gleichzeitig einen Versetzungsantrag als zukünftige Wasserrose. Das muss man doch mal gemacht haben!!
    Gruß, Mephisto

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